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Triggerwarnung: Der Umgang mit Erkrankten Menschen

Wie sollte man eigentlich am Besten mit an Depressionen erkrankten Menschen umgehen?

 

Das ist eine übergeordnete, sehr große und bedeutende Frage...

 

Ich wähle heute einmal sehr deutliche Worte. Worte, die man weder als Betroffener, noch als Angehöriger nicht wirklich gerne hören will, aber ich finde es dennoch wichtig. 

 

Sicher kommt es da auf viele Faktoren an, zum Beispiel in welchem Verhältnis man zu der entsprechenden Person steht. In einer Familie oder Partnerschaft ist das extrem schwierig und kann auf Dauer eine wahre Belastungsprobe für Partner oder Angehörige sein.  In erster Linie denke ich, dass der Betroffene neben phasenweiser großer Aufmerksamkeit auch sehr viel Feingefühl abverlangt. Angehörige werden nicht selten regelrecht unaufgefordert dazu "gezwungen" das Maskenspiel mit zu spielen. Man versucht eben wieder und wieder das Gesicht in der Gesellschaft, bei Freunden und vor allem im Job nicht zu verlieren. Und hier greifen dann Familie, Freunde und Partner meist aktiv mit ein. Es dient in erster Linie auch zum Schutz des Betroffenen, dennoch verstrickt man sich gemeinsam immer tiefer über Monate und Jahre in einen Wollknäuel voller Geschichten, Ausreden und Lügen, um irgendwie mit dem Kopf über Wasser zu bleiben.

 

Meist sind es Phasen, in denen die Depression unverhofft und ohne Vorwarnung erbarmungslos zuschlägt. Phrasen wie "reiß Dich mal zusammen" oder "geh doch auch mal raus ans Licht" sind vielleicht im Kern gut gemeint, aber erzeugen in der Regel erst Recht Druck und das Gefühl von "nicht-verstanden-werden."

 

Depressionen zu verstehen finde ich persönlich auch viel zu hoch gegriffen. Sicher kann man damit argumentieren, dass es eigentlich genau genommen eine körperliche Störung ist, bei der Botenstoffe eben nicht das tun was sie bei gesunden Menschen tun.

 

Das ist aber meiner Meinung eben nur ein Teil der harten Wahrheit. Sprechen wir es doch einmal deutlich aus:

 

Depressionen sind lebensgefährlich.

 

Nicht immer, nicht jeden Tag aber in den schlimmen Phasen definitiv, denn die Gefahr liegt auch darin, dass in Zeiten vollkommener emotionaler Leere und nahezu kompletter Gefühlslosigkeit die Hemmschwelle extremst sinkt, bis auf ein Niveau, auf dem es nicht wirklich noch eines Auslöser bedarf wie z.B. einer schlechten Nachricht oder dergleichen und man hat das erdrückende Gefühl in dieser Welt und in dieser Gesellschaft einfach keinen Platz mehr zu finden. Selbst wenn man im Job und im sozialen Umfeld eigentlich trotz der Erkrankung gut da steht. Dann steht man auch eventuell vor diesem magischen Point-of-no-return und dann heißt es Hilfe annehmen oder auch aushalten. Letzteres ist in Eigenregie ein RItt der Rasierklinge, im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Viele Angehörige und Freunde versuchen sich das durch Gründe zu erklären, damit es leichter zu verstehe ist. Sicher sind Jobverlust, finanzielle Existenzängste und weitere Punkte nicht unbedingt förderlich, aber das beste Beispiel ist der ehemalige Nationaltorwart Robert Enke. Er hatte sicherlich zumindest keine bedrohlichen Geldsorgen und nicht zwangsläufig die Angst vor ewiger Arbeitslosigkeit, aber dafür hatte er den Druck nicht versagen zu dürfen auch in den Phasen der starken Depression.

 

Ihr seht, es gibt Dinge, die das Ganze negativ beeinflussen, aber die Lösung dieser Probleme bedeutet nicht zwangsläufig eine Gesundung. Von daher wäre dies einer meiner Ratschläge im Umgang....sucht nicht nach Erklärungen, denn diese können täuschen, sie täuschen Euch ebenso wie die Depression den Erkrankten täuscht. Hinterlistig eben.

 

Eine Familie kann sehr darunter leiden. Der Erkrankte sieht das oftmals schlimmer als die Kinder oder der Partner, die ja nur wollen, dass es einem wieder besser geht. Dennoch steigt das Gefühl eine Last zu sein, der Familie ständig Angst zu machen es könne was mit einem passieren und man möchte auch nicht sein Leben alle paar Monate in einer Klinik verbringen.

 

Aus eigener Erfahrung weiß ich aber auch, dass Dinge wie Sonnenlicht und Natur durchaus auch gut tun können, aber dazu muss man langsam und vorsichtig hin geführt werden. Leichte Gehversuche mit der Möglichkeit zum Rückzug oder Abbruch sind keine schlechten Ideen. Es geht immer wieder auch um das Gefühl der Sicherheit. Da kann ein Mann stark wie ein Bulldozer und hart wie Eisen sein, in diesen Phasen ist man verletzbar, schwach und sehr instabil.

 

Ich persönlich habe sehr viele Jahre mit Therapien und Medikamenten verbracht und sage heute, eine Gesprächstherapie mit dem PASSENDEN Therapeuten ist und bleibt eine der besten Varianten. Die Familie, Freunde und Partner können und dürfen meiner Meinung nach auch nicht versuchen den Part des Therapeuten zu übernehmen. Irgendwann werden sieselbst darunter so stark leiden, dass ihre eigene psychische Verfassung schlechter wird oder einen Knacks bekommt.

 

Ich spreche gerne in bildlichen Vergleichen, da das einfach leichter in den Köpfen Formen annimmt und hängenbleibt. Seht Euch vielmehr als eine Art Leitplanke auf der Lebensautobahn des Betroffenen. Ihr helft zu erkennen wo die Fahrbahn begrenzt ist, auch durch Eure eigenen Grenzen und Regeln. Selbst bei der Fahrt in Schlangenlinien helft Ihr damit, dass er die Autobahn nicht mit Vollgas verlässt und in einen Graben prescht. Es gibt sicherlich bei dem Kontakt mit den Leitplanken Beulen, Kratzer und Dellen aber das ist eben der Preis und auch das muss man mal ganz deutlich so aussprechen. Leider funktioniert das nicht immer und auf Dauer, denn die Depression sorgt in einer fast negativ bemerkenswerten Art und Weise für eine Anpassung. Sie entwickelt sich und so wie man im Gehirn versucht Umleitungen zu bauen und neue Denk- und Gefühlsprozesse zu erschaffen, so legt sie eben nach geraumer Zeit nach und verbaut diese Wege.

 

Ich selbst dachte eigentlich es nach so vielen Jahren selbst im Griff zu haben. Besten Dank an die Depression für die Lektion! Ich stehe auch wieder an einem Punkt, an dem ich mir klar machen muss, dass es eben eine behandelbare Krankheit ist, aber keine heilbare. Und das ist mit zunehmendem Alter gerade als Mann eine sehr große und erdrückende Last, wenn man sich klar machen muss, dass es immer wieder diese Phasen gibt, in denen man die Hände von Therapeuten und anderen annehmen muss, um nicht final abzustürzen. Es macht schlicht sehr traurig.

 

In den Phasen ist es ein wenig so als würde man einem Kind etwas beibringen wollen. Sei es zum Beispiel das Klettern auf Bäumen. Man hat Sorge, es könnte herunterfallen und sich schwer verletzen, aber wenn man ihm die Chance nimmt, nimmt man ihm auch die Erfahrung etwas zu erreichen. Ähnlich ist es hier auch. Wenn man nicht mehr in der Lage ist an den Briefkasten zu gehen, wenn man nur noch die Rollos 24h am Tag unten hat und nicht mehr ans Telefon geht, dann könnte man unterstützend schauen, wo man etwas abnimmt oder sagt "Lass es uns doch gemeinsam versuchen" aber übernimmt man alles, so wird die Depression (NICHT DER MENSCH!) sich irgendwann sagen: "Hey, fein, ich kann also genau so weitermachen...." Wir Konditionieren also. 

 

Sicher muss man sich selbst gegenüber so fair sein und sich fragen:

 

"Kann es das denn echt gewesen sein? Jemanden in seinem Freundeskreis oder als Partner zu haben, bei dem man damit rechnen muss, dass er sich eines Tages das Leben nimmt?"

 

Jeder scheut diese Frage, aber sie steht nun einmal im Raum. Die Zahlen sind leider erschreckend und fast jeder 5. Notarzteinsatz in Deutschland im vergangenen Jahr betraf psychische Notlagen.

 

Versucht im Umgang achtsam zu sein, eine Mischung aus Verständnis und Rückhalt zu bieten und seid wachsam. Gerade wenn der Erkrankte nach einer sehr heftigen Phase besonders ausgeglichen und ruhig erscheint, in seiner Gestik und Stimme fast schon erstaunlich locker wirkt, gerade dann würde ich aus meiner Sicht erst einmal dazu raten etwas genauer hinzuschauen. Veränderungen treten manchmal auch auf, wenn Entschlüsse gefasst wurden, die der Psyche eine Art Erlösung vorgaukeln.

 

Und selbst bei all den Kräften, die Ihr investiert muss ich Euch leider auch sagen, gibt es keine Garantie, dass der Betroffene nicht doch eines Tages ausreißt oder den Weg des Vermeidens durch Scheiden aus dem Leben wählt.

 

Ich möchte aber auf diesem Wege auch Worte an alle finden, die es versuchen oder versucht haben. Jeder von Euch da draußen hat manchmal vielleicht unwissentlich das Leben des anderen sogar verlängert. Es mag schwer und hart klingen, aber wenn die Erkrankten eines Tages einen anderen Weg gehen, dann möchte ich das nicht als Ausrede heranziehen, aber ich würde hier gernedie Worte Teresa Enke´s sinngemäß aus einer Reportage aufgreifen:

 

Nicht der Mensch hat das getan. Es war die Erkrankung der Depression.

 

Teresa münzte dies auf den Suizid von Robert, aber dieser Ausspruch greift in der Tat auf viele andere Dinge und Verhaltensweisen. Ich weiß, das klingt auch sehr nach "Freibrief" für alles, aber ich glaube wer es erlebt hat weiß, dass es eben nicht so ist.

 

Wir fügen Euch da draußen oft Kummer und Leid zu, versetzen Euch in Angst und Panik und rauben sehr viel Kraft und Euch leider auch oftmals die Möglichkeit der Mitbestimmung und/oder Entscheidungen. Ich selbst spreche jetzt ganz frech einmal für die meisten und möchte auch sagen, dass uns das Leid tut, aber gegen diese Macht der Depression ist manchmal selbst der stärkste Mensch hilflos und in einer Leistungsgesellschaft, die kein "Versagen" mehr toleriert, werden die Zahlen in den nächsten Jahren steigen und steigen, wenn in der Gesellschaft und im Umgang mit diesem Thema nicht endlich ein Umdenken stattfindet. 

 

#ANTISTIGMA

#FIGHT DEPRESSION

 

 

 

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